Nur die kaputte Straße verhinderte den Filmruhm....

Nur einen Steinwurf liegt Palingen von Lübeck entfernt.
Doch eigentlich sind es Lichtjahre.
Denn das Dorf besticht vor allem durch Abgeschiedenheit, Ruhe und eine kaputte Straße –
auch wenn es fast filmischem Ruhm erlangt hätte.
Grevesmühlen (OZ) Projekt.
Das Wort klingt ein wenig nach großer Stadt und ehrgeizigen Zielen. In Palingen an Lübecks Stadtgrenze gibt es so ein „Projekt“: Mitten im 364-Seelen-Ort entsteht eine Siedlung, die so gar nicht in ein typisch mecklenburgisches Dorfes passen mag. „Schön finde ich das nicht“, beschwert sich denn auch Klaus Stutzky über die Holzhäuser gegenüber seiner Haustür. Mit den Leuten, die darin wohnen, beteuert der Ostpreuße, „haben wir keine Probleme“. Doch geheuer ist dem 62-Jährigen das, was da ein Stockwerk höher als die anderen Gebäude in Palingens Himmel wächst, nicht.

Das Projekt beruht auf Gemeinschaft der Menschen, die darin wohnen“, sagt dessen Teilnehmerin Ingrid Feldwisch. Sieben Familien sind es, die räumlich getrennt, doch miteinander ihr Leben gestalten. 13 Erwachsene, 20 Kinder, ein Fernseher, Bio-Essen bei frischer Luft und viel Bewegung vor den Niedrigenergiehäusern – eine riesige Landkommune. Die älteren Kinder der 41-jährigen Kölnerin gehen auf die Lübecker Waldorfschule. Fünf hat sie insgesamt. „Vielleicht verstehen wir uns deshalb so gut mit den Nachbarn“, glaubt sie. „So viele hatten hier früher doch alle.“

Das wäre ein Bindglied im von Gegensätzen gekennzeichneten Ort – und die ziehen sich bekanntlich an. Alt und neu zum Beispiel. Zwischen 1945 und 1990, rechnet der frühere LPG-Chef Klaus Stutzky vor, „wurden hier vier Häuser gebaut danach aber 20“. Das sei für ein LPG-geprägtes Dorf, das zudem durchs Sperrgebiet verschweißt war, zuviel. Heute, bedauert seine Frau Adelheid, „kommen wir seltener zusammen als früher“. Die Feste seien ebenso rar geworden wie der nachbarschaftliche Kontakt – das bringe der Kapitalismus eben mit sich, so die 61-Jährige. Außer der Feuerwehr sorgt nur der Reitstall mit seinen 60 Pferden für Veranstaltungen – etwa mit dem Helfer Mario Krapf (25), ein Palinger, der auch dieses Jahr mit seiner Irish-Folk-Band „Pipers Pint“ für Stimmung im Ort sorgen will.

Den Verödungen nach der Wende ging die der DDR-Zeit voraus. Betriebe, die Grundschule, einen Festsaal habe es lange gegeben, erinnert sich Klaus Stutzky an die Zeit vor dem zwischenzeitlichen Fortzug nach Grevesmühlen 1960. Zuvor war die Palinger Heide – das Naherholungsgebiet der Lübecker – aufgeforstet worden. Einzig der Dorfkonsum, „der letzte noch existierende im Land“, beteuert er, hat überlebt. Ganz im Gegensatz zur Wassermühle, dem 876 Jahre alten Wahrzeichen Palingens.

„Die verfällt zusehends“, klagt Ursula Kessler (77). Die Dorfälteste hat die Historie des Ortes akribisch aufgelistet. „Meine Familienchronik ist auch eine Chronik Palingens“, erläutert die vierfache Mutter, die beim Reden über spitze Steine stolpert. Sie hat einen dicken Ordner mit Material über den Ort, in dem die gebürtige Lübeckerin „trotzdem immer zuhause war“.

Viel Persönliches findet sich in dem Werk. Etwa, dass die Kinder nur mit Gleichaltrigen einer Straße, nicht des ganzen Dorfes, gespielt hätten. Aber auch historisch Bedeutungsvolles. Die Akte Jakubowski zum Beispiel: der Fall eines osteuropäischen Kriegsgefangenen, der 1926 wegen Mordes an seinem Palinger Kind zum Tode verurteilt worden war. Das Ereignis war der DEFA den Film „Im Namen des Volkes“ wert. Er machte Palingen fast zum Drehort. „Er wurde zwar bei uns im Saal erstaufgeführt“, erinnert sich Ex-Gemeindekrankenschwester Isolde Lehmann. „Aber die Straße war zu schlecht für die Film-Lkw's“.

Schlecht ist die Straße noch heute. Sie gleicht einer Buckelpiste. Das ist nicht der einzige Grund, warum die 66-Jährige alles vom Materiellen bis zum Menschlichen für „schlimm, total kaputt“ erklärt. Diese offene Art, in der die Boizenburgerin mit 41 Jahren Palingen-Erfahrung redet – die hat es Zugezogenen wie Ingrid Feldwisch angetan: „Die Leute sagen hier halt, was sie denken.“

JAN FREITAG © 1999-2000, Alle Rechte vorbehalten

Kommentare  

#1 Michael 2016-04-24 14:02
Also, soweit ich mich erinnere, war nicht die schlechte
Straße für den Abbruch der Vorbereitungen für die Dreharbeiten zum Film verantwortlich, zumal mit dem Aufbau der ersten Kulissen bereits begonnen wurde. Es waren die veränderten Bedingungen nach dem 13.August 1961,
die zu einer Verlegung des Drehortes führten.
Die nahe Grenze wird sehr viel wahrscheinlicher der Grund für die Verlegung des Drehortes gewesen sein, sonst hätte schon bei der Motivbesichtigung festgestellt werden können, das die LKLWs nicht durchkommen. der neue Drehort war wohl Menzendorf.

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